BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wiehl

Rede zum Haushalt 2017

Rede zum Haushalt 2017

44 000 € 20:5 = 15 Millionen

Zahlen gehören zum Haushalt!
44 000 € Herr Bürgermeister, meine Damen und Herren von der Verwaltung, von den Medien und auf den Gästestühlen: Was sagt Ihnen diese Zahl?
Thomas Seimen, Jürgen Poschner, Dominik Seitz, ihr solltet es wissen!

Liebe Ratskolleginnen (Nachdem es Jahrhunderte lang umgekehrt war, benutze ich in der Anrede jeweils die weibliche Form in der Hoffnung, dass die anwesenden Herren sich auch angesprochen fühlen.)

44 000 € stehen für die – für mich – erfreulichste politische Nachricht des vergangenen Wochenendes. Die sozialdemokratische Regierung in Bukarest hat ihr Dekret zur Lockerung der Anti-Korruptionsgesetzte aufgehoben. Das haben tausende von Demonstrantinnen in der Hauptstadt Rumäniens aber auch in vielen anderen Städten u.a. in Hermannstadt erreicht. Hut ab vor den Bürgerinnen im ärmste EU-Land. Das Dekret der rumänischen Regierung hatte vorgesehen, dass Amtsmissbrauch dann straffrei ist und verurteilte korrupte Politiker entsprechend entlassen werden, wenn der Schaden weniger als 44 000 € beträgt. Mich hat vor allem begeistert, dass bürgerlicher Protest Fehlentwicklungen stoppen kann. Ich bin aber auch nachdenklich geworden: Ich frage mich und Sie, meine Damen: „Was ist Amtsmissbrauch haushaltspolitisch?“
Wir entscheiden hier über Gelder, die nicht unsere sind, sondern die uns die Bürgerinnen gegeben haben?

Selbstverständlich ist Wiehl nicht dasselbe wie Bukarest. Trotzdem erlebe ich die Situation dort als Mahnung an uns. Niemand von uns ist im eigentlichen Sinne korrupt. Aber dass politische Entscheidungen vor allem im Interesse einer bestimmten Klientel getroffen wurden, statt sich nach dem Geldsäckel zu richten, den schließlich alle Bürger füllen, dass scheint mir offensichtlich. Welches Gesetz zieht bei uns Politikerinnen zur Verantwortung für offensichtliche finanzielle Fehlentscheidungen? Keines!
Noch einmal zur Klarstellung: In Bukarest geht es um Korruption, in Wiehl geht es nur um Verantwortungslosigkeit. Bei uns in Deutschland gibt es bis jetzt noch keine Mithaftung der Politik für Fehlentscheidungen.Die Entscheidungsträger im Rathaus in Wiehl, wir also, bereichern uns ja nicht selbst, sondern schaden nur der Allgemeinheit mit langfristig unverantwortlichen Beschlüssen. Oder neuhochdeutsch: Bei uns sind postfaktische Klientelententscheidungen absolut straffrei.

20:5 =
Eine Rechenaufgabe aus dem Pisatest für die Grundschule:
Eine Familie hat einen Vorrat von 20 Äpfeln,
jeden Tag werden 5 Äpfel gegessen.

Die Frage: Wie lange reicht der Apfelvorrat?
Die Rechnung 20:5=4
Die Antwort: Der Apfelvorrat reicht für 4 Tage.

Jetzt Ihre Aufgabe:
Ersetzten Sie: 20 Äpfel durch 22 Millionen Haushaltsrücklage, Tage durch Jahre und 5 Äpfel durch jährliches, durchschnittliches strukturelles Defizit!
Die Frage ist: Wer von Ihnen hier in diesem Saal hat seine Hausaufgaben gemacht?
Ganz nebenbei ist die Behauptung von Axel Brauer, (bitte entschuldige, Axel, dass ich jetzt ein bisschen aus dem Nähkästchen plaudere) „Jedes Grundschulkind hätte die Haushaltsentwicklung in Wiehl vor Jahren schon voraussehen können,“ bewiesen.

Schlussfolgerung: Wir Grünen und meine Nachbarinnen zur linken sind rechnerisch immerhin auf dem Niveau von .. Grundschulkindern!

15 Millionen
Jetzt wird es zugegeben schwierig, wir begeben uns aufs Glatteis. Vor allem, um in Bild zu bleiben, weil das Eis nicht durchsichtig ist, meint hier: Die Transparenz von Entscheidungswegen in Wiehl war nicht herzustellen.

Viele unsere Anfragen wurden gar nicht, nicht verständlich, nicht ausreichend beantwortet oder wir erhielten Antworten, nach denen wir gar nicht gefragt hatten.

Ziehen wir die Schlittschuhe an, und nehmen wir mal an, die Lösung der Aufgabe von eben – Sie erinnern sich 20:5 – wäre vor drei Jahren schon gefunden worden!
Und alle hier im Saal hätten die haushalterischen Zeichen rechtzeitig erkannt und danach gehandelt.

Wie zum Beispiel: Das Haushaltsziel, Zitat: „Die Ausgleichsrücklage soll nach den Erfahrungen der Krise von 2008 und 2009 auf einem Sockel von 8 Mio € gehalten werden, um die Handlungsfähigkeit der Stadt zu erhalten“ hätte Bestand gehabt und wäre nicht frei nach dem Motto „Was schert mich mein Geschwätz von gestern,“ abgeändert worden in, „das Haushaltsziel ist (nunmehr), den Genehmigungshaushalt und mittelfristig u.U.das HSK zu vermeiden.“ Zitat Ende. Letzteres ist nach unser Meinung ein selbst verschuldeter haushalterischer Offenbarungseid.

Randbemerkung 1 (eine Reminiszenz an BB)
Das Ziel „Genehmigungshaushalt“ erreichen wir nach Aussage von Axel Brauer 2019. Ich wage heute die Vorhersage, dass wir es noch schneller schaffen, nämlich schon nächstes Jahr, wenn wir nicht endlich realistisch haushalten. (oder Zitat Axel Brauer: einen Pflock einschlagen)

Randbemerkung 2
Warum handeln wir so? Sobald wir in der Haushaltssicherung sind, haben wir einen Buhmann in der Kommunalaufsicht. Wenn ich das jeweilige farbenspezifische Geschimpfe auf die Landes-, Bundes- oder Kreisregierung höre, brauchen einige den Buhmann, um unvermeidliche Entscheidungen vor der jeweiligen Wählerschaft zu rechtfertigen. Das erscheint leichter als unangenehme Wahrheiten ehrlich zu verkünden.

Ich habe den Eindruck, dass politische Entscheidungen immer noch in der gefühlten, aber sachlich eben unwahren Annahme getroffen werden, dass alles so sei wie in früheren Jahren. Mich treibt die Sorge um, dass die Frustration groß sein wird, wenn die Realität offenkundig wird. Und das wird sie früher oder später! Dann wird der Verdruss über unfähige Politiker das Vertrauen der Bürgerschaft noch weiter demontieren und sie in die Arme von Populisten wie der AFD treiben.

Kommen wir zurück zum Haushalt:

15 Millionen
Nein, eine letzte Randbemerkung noch. Wir in Wiehl sind mit der desaströsen Haushaltsentwicklung ja noch am Anfang. Zahlreiche Städte in NRW sind da schon weiter.
Ich nenne nur das Beispiel von Schwerte: Die Parallelen sind frappierend. Auch in Schwerte hat man aus scheinbar sicherer Haushaltslage mit einem Prestigeobjekt gegen den Willen eines Bürgerbegehrens und unter ähnlicher Missachtung der kommunalen Bauleitlinien (DIN 18205 der Bauverordnung) – wobei das Rechnungsprüfungsamt, Herr Bellingrath mag mich korrigieren – sogar von deren Unkenntnis bei uns spricht – die Stadtfinanzen – wohl gemerkt im weit entfernten Schwerte – so weit heruntergewirtschaftet, dass man zu guter Letzt dieses Objekt schließen musste.

Unsere Sorge um das finanzielle Wohl unserer Stadt wird verstärkt im Blick auf die globale Situation. Angesichts der Klimaveränderungen mit ihren Auswirkungen auf die Ernährungslage der Weltbevölkerung, der daraus resultierenden vermehrten kriegerischen Konflikte und Krisen, der unvermeidlichen Wanderbewegungen, angesichts der weiterhin riskanten globalen Energiepolitik, Stichwort Tihange, die Liste ließe sich fortsetzen, ist es nicht die Frage ob, sondern wann die nächste Krise kommt.
Und dann?

Wir von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN möchten uns darum stark machen für eine sorgsame Haushaltspolitik. Wir plädieren dafür, die Stadt autark zu machen, wo immer es möglich ist. Beispielsweise sollte – noch einmal großes Lob an Herrn Richling und seine Mitarbeiterinnen – das hervorragende Energiemanagement der städtischen Liegenschaften auch auf die der städtischen Gesellschaften wie der FSW angewendet werden und zwar – meine Damen – von der Planung an und nicht erst, wenn der Kuchen gegessen ist.

Aber jetzt endlich zu den 15 Millionen:
Wie gesagt, hypothetisch, um die Dimension von Fehlentscheidungen unserer Meinung nach zu verdeutlichen, nehmen wir mal an: Was hätten wir mehr in der Hinterhand bei einer klugen sorgsamen, weitgehend klientelfreien, faktischen Haushaltspolitik?

Bei der Entscheidung für die Pflastersteine an diversen Stellen des Stadtgebietes wurde den „schöneren“ der Vorzug gegeben vor den physikalisch baugleichen preiswerteren Steinen. 200 000 € (Nach unserer Recherche, Nachfragen unseres sachkundigen Bürgers Paul Oppermann und mir wurden bis heute nicht beantwortet.)

Bei der WWW wären es deutlich mehr Gelder, hätte man das ursprünglich von der Arbeitsgruppe Bäder vorgeschlagene Vredener Modell gewählt, 10 Millionen

Nach Meinung unserer sachkundigen Bürger im Bau und Planungsausschuss sind zahlreiche Grundstücksankäufe nicht einer langfristigen Kosten-Nutzenanalyse unterzogen worden. Einsparungen von 2,5 Millionen waren hier im Gespräch.

1 Million ist im Haushalt vorgesehen für externe fachliche Beratung. Manches davon mag sinnvoll sein. Aber hätten nicht erhebliche Kosten eingespart werden können, wenn man bei der Besetzung der entsprechenden Posten in der Verwaltung mehr auf eine hinreichende Qualifikation – statt aufs Parteibuch – geachtet hätte?

Und wären nicht durch eine Mitgliedschaft in der Arbeitsgemeinschaft Fußgänger und Fahrradfreundlicher Städte und Gemeinden, die von uns beantragt und von Ihnen auf Grund unrichtiger Behauptungen von Mitgliedern der Verwaltungsspitze abgelehnt wurde, einige Beratungszehntausender überflüssig geworden?

Den Vorgang will ich gerne beispielhaft konkretisieren. (Beispielhaft für das Verhalten der Verwaltung um ihrer Meinung nach minderwertige Anträge auszusitzen) Es wurde der Eindruck erweckt die AGFS wäre an einer Bergischen Stadt nicht interessiert, bzw. wir könnten die Aufnahmekriterien nicht erfüllen. Im persönlichen Gespräch mit der Geschäftsführerin der AGFS wurde mir das Gegenteilige gesagt: Gerade eine Stadt im Bergischen wäre hochwillkommen und die Parameter sind keine Aufnahmebedingungen, sondern gemeinsam zu erarbeitende Zielvorstellungen.

In den Zusammenhang gehört auch die Behandlung des neuen Nahverkehrsplanentwurfes. Hier hätten uns die Dienste der AGFS sicher ein große kostengünstige Hilfe sein können, wenn wir in der Politik überhaupt die Möglichkeit gehabt hätten darüber zu diskutieren.

Ich zitiere aus einer Mail an meine Fraktionskolleginnen: Zuerst wird die Information zum Nahverkehrsplanentwurf so spät den Fraktionen weitergeleitet, dass eine angemessene politische Beratung nicht mehr möglich ist. Anschließend wird diese Handlungsweise mit Sonderabsprachen mit der Kreisbehörde verteidigt, die diese Behörde dann allerdings nicht bestätigen kann. Der entsprechende Mailverkehr sollte hier im Haus vorliegen!

Leider kein Einzelfall für eine Vorgehensweise der Verwaltung, die doch einige Fragen aufwirft. Zwei aktuellere Beispiele: Ich zitiere der Kürze wegen die gleiche Quelle:

Dann wird unser Fair-Handelsstadt-Antrag erst auf Nachfrage von uns auf die Tagesordnung des Sozialausschusses gesetzt, nachdem die Verwaltung sich offensichtlich erst eine Woche vorher damit befasst hat. Zum Verständnis: Unser Antrag wurde im Juni 2016 auf Vorschlag von Herrn Teichmann (CDU) in den Sozialausschuss verwiesen. Reichen 7 Monate nicht aus um sich mit der Sache zu befassen?

Danach wird uns noch vorgeworfen, dass wir uns um die entsprechenden Bedingungen gekümmert haben, bevor der Antrag behandelt wurde. Meiner Meinung nach ist es gerade sinnvoll, die Voraussetzung eines Antrages vorher zu prüfen, offensichtlich sieht man das bei Mitgliedern der Verwaltungsspitze anders.

Und jetzt wird unser Antrag zur Abschaffung des Vergabeausschusses einen Tag vor der Ratssitzung auf die Tagesordnung gesetzt.

Ganz anders ist es natürlich nach wie vor, wenn ein Antrag von anderer Seite kommt. Wobei dann ein Antrag erst gar nicht nötig ist. Ursprünglich eingeplante Kürzungen werden auf dem kleinen Dienstweg „intern“ zwischen den Restbürgi-Parteien und der Verwaltung zurückgenommen, natürlich in diesem Fall ohne Änderung des Haushaltsansatzes und das Ergebnis wird dann den kleineren Parteien telefonisch mitgeteilt. Diese Verfahrensweise wird allmählich traditionell in Wiehl.

In dem Zusammenhang zitiere ich eine Frage aus meiner Haushaltsrede von 2015:
„Kann man auf einige freiwillige Ausgaben im Schulbereich angesichts der um ein Drittel sinkenden Schülerzahlen nicht verzichten? Ist eine Verteilung der Zuschüsse am runden Tisch für die Schulen im Gießkannenprinzip noch sinnvoll?“ Heute beantworte ich diese Frage. Ja man kann, man muss sogar! Und zwar in allen Bereichen! Um ein Zeichen zu setzten, dass wir die Lage erkannt haben! Setzten wir endlich einen Pflock, Axel Brauer!

Lassen Sie meine Damen wenigstens den Haushalt in der eingebrachten Fassung, stimmen Sie unseren Anträgen auf Streichung des Vergabeausschusses und auf Verzicht von Entschädigungen für Ausschussvorsitzende zu!

15 Millionen
Kommen wir auf die vorgenannte Aufzählung zurück. Angemessene Haushaltspolitik hätte 15 Millionen nur im Invest eingespart! Darin ist die vom Bericht des Rechnungsprüfungsamts bemängelte Vernachlässigung der Lebenszykluskosten städtischer Bauten nicht berücksichtigt, die Betriebskosten überlassen wir unseren Kindern! Der erwähnte Bericht des Rechnungsprüfungsamts spricht Bände, für den, der ihn lesen kann und – soviel zur Transparenz – darf!

15 Millionen!
Bei einer klugen, an der Sache orientierten Vorgehensweise wäre Wiehl eine für Bürgerinnen und Wirtschaft nach wie vor attraktive Kommune und wir könnten uns auf einem ganz anderem Niveau über Steuermodelle unterhalten, die z.B. den gewünschten Zuzug von Dienstleistungsgewerbe unterstützen. Wir könnten sogar die Arbeit unsere Sparkasse fördern und über die Aufstockung der Haushaltsrücklage für Krisenzeiten nachdenken und zwar ohne auf eine einzige zur Daseinsfürsorge zählende notwendige Investition für unsere Bürgerinnen zu verzichten!

Zum Abschluss möchte ich zwei Beispiel aus dem Bäderbereich nennen, wie wir uns ein Umdenken haushalterisch vorstellen:

1. Wir erwarten Transparenz gegenüber den Wiehler Bürgerinnen, statt mit überteuerten auswärtigen Werbefirmen die Planungsfehler der WWW zu übertünchen. Gemeinsam mit den Betroffenen sollte nach Lösungsmöglichkeiten gesucht werden. Die gibt es!*) Aber das verlangt eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe und nicht im bisherigen Gutsherrenstil. Es geht nicht an, dass einem Mitglied des Sportausschusses und damit der Gesellschafterversammlung der FSW ein Schreiben der Schulen über die Bedingung des Schulschwimmens in Wiehl vorenthalten wird.

2. Dass bei der Besichtigung des Naturbades in Dortmund der Vorsitzende des Bielsteiner Badfördervereins eingeladen wird, ist sinnvoll. Dass aber daraufhin das Schreiben von Herrn Klein an die Fraktionsvorsitzenden im Sportausschuss nicht behandelt wird, weil es so offensichtlich voller Fehler und Unwahrheiten ist, das erschwert eine ergebnisoffene Diskussion um die zukünftige Art des Bielsteiner Bades. Es ist nicht im Besitz des Fördervereins, sondern sollte gerade nach der Abwicklung des Wiehler Freibades allen Wiehler Schwimmerinnen zu gute kommen.

Wir fordern sofort eine realistische Finanzpolitik, die die Stadt krisensicher macht, nachhaltig ist, die die Demografie – und zwar an kompetenter Stelle – berücksichtigt, unsere Ressourcen schont und unsere ganz individuellen Besonderheiten berücksichtigt. Solange wir die nicht finden, lehnen wir den Haushalt ab; und:

Ich freue mich auf den nächsten Besuch in Bistritz. Danke an die Rumänen. Ihr zeigt einen Weg wie man auch Trumpisten, AFDlern, Populisten und Neonationalisten und so weiter .. entgegentreten kann!

Wiehl, den 7.2.2017

*) Wie gehen wir mit einem Zwitter zwischen Schwimmbad und Spaßbad mit der Umkleidesituation eines Lehrschwimmbeckens nun um?
1. Anbau eines Umkleidetrakts an der Parkplatzseite
2. Süßwasser statt Kunstsole um die Betriebskosten auf dem jetzigen Niveau zu halten
3. Eine sofortige transparente Zusammenarbeit aller Betroffenen
4. Eine Überprüfung der wenig praktikablen Einlasssituation für Schulklassen und Vereinsgruppen