BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wiehl

Fraktionsvorsitzender Jürgen Körber mit nachdenklichen Worten zum Haushalt 2023

Rede zum Haushalt der Stadt Wiehl 2023

Wiehl 13.12.2022

Der Text dieser Rede entstand mit Unterstützung von Ricarda Weber und Barbara Degener.
Zitate des Bürgermeisters beziehen sich auf dessen Haushaltsrede.

 

Meine Damen und Herren,

der Beitrag unserer Fraktion wird schriftlich festgehaltenen und auf unserer Internetseite nachzulesen sein.

Mit dem Dank und allen guten Wünschen an die Verwaltung schließen wir uns unseren VorrednerInnen an.

In diesem Jahr haben wir uns neben einigen grundsätzlichen Überlegungen exemplarisch mit zwei Bereichen der Haushaltssatzung befasst.

Ich beginne mit einigen Gedanken von Ricarda Weber zur Jugendpolitik.

„Alles jetzt, alles gleichzeitig?“ so Herr Stücker. Ich würde eher sagen: „Demo statt Disco!“
Womit wir schon beim Thema wären: Jugendbeteiligung und Disco in Wiehl.
Immer mehr junge Menschen gehen auf die Straßen und setzen sich für ihre Ziele ein. Auch hier in Wiehl tut sich was. Die Jugend zeigt sich interessiert an den Geschehnissen und Entwicklungen in Wiehl. Wir müssen die jungen Menschen hören, miteinbeziehen und an unseren Entscheidungen beteiligen. Um das Interesse und Engagement der Jugend nicht zu verlieren, ist die Gründung eines Jugendparlamentes der nächste logische Schritt. So können wir eine gewisse Verbindlichkeit schaffen und dem Gedanken „das bringt doch sowieso nichts“ entgegentreten.

Auch wenn sich die Lage an der Coronafront derzeit etwas zu entspannen scheint, dürfen wir die Folgen dieser Krise nicht vergessen. Kinder und Jugendliche mit psychischen Problemen, abfallenden schulischen Leistungen und damit verbundener Schulstress, soziale Unsicherheiten. Hinzu kommen eventuelle familiäre Sorgen, Existenzängste der Eltern. Dass die Beiträge für die OGS keine zusätzlichen Belastungen im neuen Jahr vorsehen, ist hier positiv zu erwähnen.
Auch das Programm „Aufholen nach Corona“ und verschiedene Veranstaltungen wie z. B. der Wiehler Sommer und der Spielenachmittag jetzt am 03.12.2022 waren eine gute Sache. Allerdings sollten wir mit diesen Angeboten noch nicht fertig sein. An den Schulen ist die Schulsozialarbeit sicherlich ebenso ein hilfreiches Instrument.

Wiehl ist bestimmt nicht schlecht aufgestellt, was die Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung der Jugend angeht. Dennoch ist auch hier Luft nach oben. Es fehlen Aufenthaltsorte und Treffpunkte, um sich zu treffen und abzufeiern. Die Wiederinbetriebnahme des „blauen Hauses“ ist angedacht und angebracht. Aber auch der Gedanke einer „Dorfdisco“, wie wir sie hatten, ist bestimmt nicht zu vernachlässigen, denn nicht alle haben die Möglichkeit, sich auf den Weg nach Köln oder Freudenberg zu machen. Dies ist oft nicht nur eine finanzielle Frage, vielmehr weiß man nicht, wie man hin und zurückkommen soll.

Die Bewältigung aller Herausforderungen, die jeder von uns persönlich zu stemmen hat, lassen sich besser umsetzen, wenn wir schauen, dass wir auch mental gesund und leistungsfähig bleiben.
Dies gelingt bestimmt eher, wenn wir für einen entsprechenden Ausgleich sorgen und Momente des Miteinanders, der Unbeschwertheit auch für die Erinnerung schaffen.

Grundsätzlich habe ich noch folgenden Gedanken:
Wir (alle Fraktionen) sollten vielleicht mal öfter aufhören, fraktionelle Fleißkärtchen zu sammeln und das große Ganze, das Gute, Erstrebenswerte im Blick behalten.
(Ein Beispiel hierfür die ist die Kooperation bei den Energieinfoveranstaltungen).

Liebe Ricarda, zuerst fand ich: Das ist einfach ein guter Beitrag zum Bereich Jugendhilfe.
Aber je länger ich darüber nachdenke und mit den Texten anderer Beiträge vergleiche, muss ich dir sagen, das ist viel mehr. Denn du sprichst die grundsätzliche Herausforderung unserer Zeit an: Wie gehen wir mit der Jugend um, was vermachen wir den nachfolgenden Generationen?

 

Zum 2. Beitrag hauptsächlich mitgeprägt von meiner Partnerin Barbara Degener:

Grundsätzlich befinden wir uns, wie Sie ganz richtig festgestellt haben, Herr Bürgermeister, in einer von vielen Krisen gekennzeichneten Situation. Sie macht es außerordentlich schwer, all die wichtigen Maßnahmen zu ergreifen, die für die Zukunftsfähigkeit unserer Stadt vonnöten wären. Dazu gehören das Bildungs- und Freizeitangebot, eine gute Ausstattung unserer Schulen und Kitas. Manches davon ist in die Wege geleitet, manches wird zu einer kaum zu bewältigenden Herausforderung, wie der Neu- oder Umbau des DBG.

Wären in den letzten Jahren einige Entscheidungen im Sinne unserer Fraktion gelaufen, könnten wir manches heute etwas entspannter angehen:
Der Verzicht auf jährliche maßvolle Steuererhöhungen, der Bau der WWW entgegen des damaligen Einwohnerantrages und der Umbau des Wiehlparks und weitere ISEK-Maßnahmen kosteten uns mindestens 25 Mill. in der freien Rücklage, letztendlich wahrscheinlich weit über 30.
Ich behaupte, dass wir mit diesem Geld und einem gemeinsamen Handeln der Fraktionen das neue Gymnasium längst stehen hätten.

Wir wären auch nicht darauf angewiesen, fällige Verpflichtungen durch Isolierungen möglicherweise auf die kommenden Generationen zu verschieben. Die Frage der Isolierung von bisher immerhin 4,57 Mill. hat in unserer Fraktion zu Diskussionen geführt. Einige wollen diesem Haushalt aus eben diesem Grunde nicht zustimmen. Andere sagen, dass sie ihre Zustimmung davon abhängig machen, dass die Rückzahlung komplett erfolgt, sobald bessere Steuereinnahmen vorliegen, lt. Planung des Kämmerers sollte das spätestens 2025 der Fall sein.

Vor allem aber hätten wir mehr finanzielle Luft, um die klugen Ideen der Klimawerkstatt zeitnah umzusetzen. Dass dieser Klimaplan erarbeitet und durch alle Fraktionen im Rat genehmigt wurde, möchten wir auch als ein großes Positivum des Jahres 2022 hervorheben. Für dieses Ergebnis sprechen wir allen Mitgliedern der Klimawerkstatt, vor allem aber auch den Beteiligten aus der Verwaltung unser ganz großes Lob aus.
Zustande gekommen ist das alles vor allem durch unser beharrliches Bemühen, die Stadt zur Mitgliedschaft in der LAG21 (Landesarbeitsgemeinschaft 2021) zu bewegen und den Rat der Experten aus dieser Einrichtung einzuholen. Nun aber geht es vor allem darum, dass „Wiehlklima 2035“ kein Papiertiger bleibt, sondern wirklich beißen lernt.

Einige Ansätze sind gemacht, ein Mobilitätskonzept soll entwickelt werden, es gab Unterstützung für PV-Anlagen, im Wiehlpark wurde Vorsorge gegen Starkregenereignisse getroffen, es gibt erste Vorsorgemaßnahmen für Ausfälle in der Stromversorgung, es gibt endlich Pläne, auf die Bebauung städtischer Grundstücke auf dem Wege einer Konzeptvergabe im Sinne des Klimaschutzes Einfluss zu nehmen. Sie erwähnen die Bedeutung solcher Maßnahmen, Herr BM, allerdings fehlt uns da öfter mal die Konsequenz: Warum wird die Unterstützung für energetische Maßnahmen nicht mehr forciert, warum werden keine neuen Programme aufgelegt?

Uns ist klar, dass aktuell Gelder für solche Maßnahmen kaum zur Verfügung stehen.
Ist es da aber nicht an der Zeit, den Bürgern mit größerer Deutlichkeit klarzumachen, dass wir inzwischen in mancher Hinsicht vor dem Entweder-Oder stehen?

Wenn wir auf Steuererhöhungen verzichten, worin wir Sie angesichts der angespannten Lage auch der Industrie für das Jahr 2023 ausdrücklich unterstützen, muss man vielleicht an anderer Stelle verzichten lernen, um Wichtigeres zu ermöglichen:
Was ist wichtiger? Konzertveranstaltungen und die Eishalle oder die Unterstützung von  Wärmepumpen, PV- Anlagen oder Renovierung von Altbauten.
Als Mensch mit Antenne für die Kunst weiß ich um deren Bedeutung, als Großvater um das Gewicht, das der Sport für eine gesunde Entwicklung hat.

Aber in zunehmendem Maße sind wir auch besorgt darum, was angesichts der hohen Belastungen für die nächsten Generationen überhaupt noch praktikabel sein wird.
Was ist wichtiger? Jederzeit ein Auto verfügbar vor der Türe stehen zu haben (mit allen Konsequenzen für Verkehrs- und Stellplatzbelastung sowie CO2-Ausstoß) oder ein Carsharing zu organisieren?
Was ist wichtiger? Ein Zuhause mit viel privatem Platz drumherum zu haben oder den Platz mit anderen zu teilen, dafür aber ein weiteres Stück Land unbebaut zu lassen?

Ist es nicht höchste Zeit, sich einmal Gedanken darüber zu machen, was unbedingt erhaltenswert und was man unter Umständen auch anders finanzieren könnte?
Etwa, indem man Projekte genossenschaftlich organisiert, was ja im Bereich der Energieerzeugung auch in unserer Region auf den Weg gebracht wird.
Oder eine Art Bürgerfond gründet, aus dem kulturelle und/oder soziale Projekte finanziert werden? Wiehl hat viele Bürger, die jeden Cent umdrehen und Unterstützung brauchen, aber auch viele, die gut und vielleicht auch gerne bei solchen Vorhaben dabei sind.

Unsere allergrößte Sorge bleibt, welches Wiehl wir unseren Kindern und Enkeln im Hinblick auf das Klima hinterlassen. Manchmal denke ich, dass ein viel radikaleres Durchgreifen vonnöten wäre, um die Katastrophe aufzuhalten. Wir leben in einer Demokratie, auch wir Grünen stehen zum längeren Weg über die manchmal unbefriedigende Kompromissfindung. Ich habe große Angst, dass dieser Weg zu lang, zu langsam und von zu vielen Zugeständnissen begleitet ist.

In dem sehr lesenswerten, weil auch durchaus ermutigenden Buch „Earth for all“ („Erde für alle“) , sprechen die Autoren von 5 notwendigen außerordentlichen Kehrtwenden, die politisch angestrebt werden sollten:
Beendigung der Armut
Beseitigung der eklatanten Ungleichheit
Gleichberechtigung (Ermächtigung) der Frauen
Energiewandel (Übergang zum Einsatz sauberer Energie)
Umstellung der Ernährung (Aufbau eines für Menschen und Ökosysteme gesunden Nahrungsmittelsystems)

Wir sind Fairhandelsstadt – die Beendigung der Armut nicht nur bei uns, sondern weltweit sollte Maßstab unseres Handelns sein. Denken wir daran z.B. bei der Auftragsvergabe?
Wie energisch treten wir als Kommune für den Energiewandel ein?
Wie stark machen wir in unserem Reden, unserem persönlichen und womöglich politischem Handeln deutlich, dass unser aller Überleben davon abhängt, mit wieviel Respekt wir unserer Umwelt begegnen?
Und dass das nur mit Verzicht geht, beim CO2 Verbrauch, bei der Ernährung, beim Energie- und Wasserverbrauch, beim Umgang mit Flächen.

Um abschließend noch einmal auf die Gedanken von Ricarda zurückzukommen:
Wir finden es prima, dass mehr Kontaktaufnahme zur Jugend gesucht wird. Auch angesichts der zunehmenden kollektiven Unfähigkeit, zwischen Fakten und Fiktion zu unterscheiden ist das wichtig.
Unsere Jugend sollte erfahren, welche Aufgaben eine Verwaltung hat, wie komplex die Wege zur Entscheidungsfindung sind und wieviel Mühe es macht, die richtigen Schritte zu tun.
Und sie sollte lernen, Fragen zu stellen und ihre Rechte einzufordern. Zudem sollte sie sehen, dass nicht alles, aber vieles gut ist, was hier in Wiehl initiiert wird und begreifen, diese Maßnahmen zu schätzen, sei es die Schulausstattung (auch Toiletten), die Spiel- und Sportplätze.

„Wiehl Klima 2035“ dieser von vielen Seiten sehr gelobte „Leitfaden Nachhaltigkeit“ findet im Haushalt 2023 keinen – zumindest keinen ausreichenden – Widerhall, ebenso wenig wie im Personalplan. Die FSW ist eh der Sargnagel jeder nachhaltigen Haushaltsentwicklung,
alle drei Bereiche lehnen wir mehrheitlich ab.
Dem Wirtschaftsplan des Abwasserwerkes stimmen wir zu.

Zur Zeit sind wir noch im Szenario too little, too late (zu wenig, zu spät)*)
Unser gemeinsames Ziel muss sein zum Giant Leap (einem großen Wurf) zu kommen.
Das sind wir unseren BürgerInnen und ich meinen Enkeln schuldig.

Danke

 

*) siehe: Earth for All, ISBN 978-3-96238-387-9

 

 

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